3/05/2009

Ein schwarzer Töff

Heute ging ich auf dem Weg zum Supermarkt an einem schwarzen Mofa vorbei mit der Aufschrift "Tibet is a part of CHINA". Beeindruckt ob des kriegerischen Statement begannen ein paar Gedanken in meinem Kopf herum zu flitzen. Einerseits bin ich hier in China bisher noch nie Slogans oder Statements, die nicht vom Staat herausgegen worden wären (das sind dann so grosse rote Spruchbänder, die zu guten Betragen auffordern), begegnet, geschweige denn Graffiti oder sonstwie öffentlichen Meinungsäusserungen zu Themen politischer Natur (ausser in Hong Kong und Macao). Andererseits ist von Meinungsäusserungen zu Themen politischer Natur (auch weniger plakativer Art) hier generell eher gering zu hören.

Meine chinesischen Sprachkenntnisse haben noch nicht das Niveau, das zu differenzierten Debatten notwendig wäre, erlangt; das wichtigste Wort des post-maoistischen Chinas haben wir aber in einer der ersten Lektionen gelernt: 改革开放, die "Open Door Policy", die sich ja dieses Jahr zum 30sten Mal jährt, war in meinen fünf Monaten hier das meistgehörte Worte im Gespräch mit Taxifahrern, Mitreisenden, Studenten und sonstigen Gelegenheitsbekanntschaften. Viele Bewohner Chinas mögen ebensowenig Interesse an Politik zeigen wie die bekannte schweigende Mehrheit der Schweizer Bevölkerung (seien die Gründe dafür auch verschieden); Für Deng Xiaopings Öffnung Chinas haben alle erstmal ein gutes Wort übrig. Viele wissen gar nicht viel mehr, und es interessiert sie auch nicht gross. Ausserdem kann die Regierung zu kritisieren immer noch ein Gesundheitsrisiko darstellen, also redet man nicht gross drüber. Wer solche Kritikpunkte wüsste, steht bildungsmässig über dem Durchschnittsniveau und hat meist auch mal Kontakt zur Aussenwelt gehabt, und das sind, bezieht mans auf die Bevölkerungszahl des Landes, nicht viele. Wer dann, wie der grössere Teil dieser Bevölkerung, seine Quellen auf Xinhua und CCTV beschränkt, kommt notwendigerweise zu einem verzerrten Bild der Tatsachen. Mein Sprachpartner Yangyang erklärte mir in ziemlich knappen Worten zu den jeweiligen Themen Tibet, Taiwan und Hong Kong - es klang ganz im Sinne der KPCh bzw unserer Motorradaufschrift. Auch der Hass gegen Japan ist immer noch verbreitet. Ein anderes Mädchen freute sich letztes Jahr über die OG, dass das "für China eine gute Gelegenheit sei, sich der Welt vorzustellen". Was sie damit meinte? Ich bezweifle, dass sie selber sich dazu grosse Gedanken machte (bzw. daran gedacht hätte, sich zu ihrer persönlichen Meinung grosse Gedanken zu machen). Warum auch? Im Süden heisst es "China ist gross und Peking ist weit". Das heisst, man redet da ein bisschen offener darüber als im Norden. Aber auch in Peking selber, das durch seine Ausgedehntheit und die in sich geschlossene Wohnhof-Struktur immer noch eher eine dörfliche als eine Grossstadt-Atmosphäre ausstrahlt, lässt sich ganz gut im "Höfli" leben ohne von Politik tangiert zu werden oder derartigem öffentlichen Leben tangiert zu werden.

Die Haltung der Menschen ist also grösstenteils eher "Ich halt mich raus", oder kühn "Ich schimpfe ein bisschen, aber ich halt mich raus". Die Regierung hat ja im Laufe der Geschichte einige Male klargestellt, dass sie vom Volk genau das erwartet. Die einigen aber, die aus dem Haufen herausstechen mit Forderungen an die Regierung bez. Menschenrechten und Demokratie leben unangenehm. Wie restriktiv das Klima auf dem Festland tatsächlich ist, fiel mir erst bei der Begegnung mit einem Hong Konger auf dem Heimweg nach Peking auf. Nicht, weil ich in ihm endlich einen Chinesen gefunden hatte, der seinem Land endlich die Meinung sagte; einfach, weil das Gespräch sehr viel unverspannter lief, als die ewiggleichen "My first talk to a foreigner"-Dialoge. Oder lag es doch nur daran, dass er in Amerika gewesen war und Englisch sprach, wohingegen die bisherigen Zug-Bekanntschaften Arbeiter aus Jiangsu und betrunkenen Poeten aus Shandong gewesen waren? Wahrscheinlich. Er wusste übrigens eine interessante Art, den Unterschied zwischen der östlichen und der westlichen Kultur zu erklären. Mehr dazu später...