12/25/2008

Es ist Weihnachten!

Gestern war Heiligabend. Ich habs erst am Mittag gemerkt. In einer eiligen Stadt, in der diese westlichen Bräuche erst allmählich durch die Läden & Strassen schleichen, ist der Advent so schnell an mir vorübergeglitten, dass weder Feierlichkeitsgefühle noch grosser Pathos mein Herz einnehmen konnten. Was vielleicht auch sein Gutes hat für das kleine Mädchen im Fernost. Alle Pläne, grandios zu schwänzen (wie langweilig!) und mit den Christen, die ich in meiner Sovjeten-Uni zusammenkrallen kann, grossem Okzidenten- und Weihnachtstum zu fröhnen, oder sich verlassen von der Welt in einen (Chaoyang) Park zurückzuziehen und sich elendig zu bedauern kamen also nicht zustande. Vielmehr stand ich wie jeden Tag äusserst knapp auf, rannte ungeduscht zum Gebäude 4 hinüber, hörte übermüdet vom vorherigen (Tradition gewordenen) 水烟 (Wasser-Rauch)-Abend dem jugendlichen Zirpen unserer Herren Mitschülern zu, ass in der Pause eines dieser ekligen Aufwärme-我不想知道里边有什么东西-Sandwiches und konnte dann mittags endlich erlöst eine Weile ins Bett sinken. Abends nahm ich am BICF (Beijing International Christian Fellowship)-Gottesdienst teil. Jetzt hab ich nicht nur Weihnachten in Beijing erlebt, sondern auch einmal Einblick in die Welt dieser populären amerikanischen Massenevents erhalten (ja ich hab eine negative Einstellung dazu. Aber!). Eigentlich hats mir ganz gut gefallen, sehr modern und eingänglich. Der Pfarrer aus Toronto erzählte von seinem ersten Weihnachtsfest in Beijing (wo noch weniger war als heute) und nahm uns einsamen Austauschschülern das leise Unbehagen und regte die Leute an, sich auf die wesentliche Botschaft des Fests zu besinnen (das wo die Engel als erstes zu den Hirten gehen und ihnen die frohe Botschaft verkünden etc). Das hat nicht nur in mir etwas bewegt. Mein vietnamesischen Mitschüler begann, lange über alles Mögliche, was das im Ausland weilende Herz so bewegt, zu diskutieren und nahm nach der Kirche auch mit mir den Umweg über den leeren Tian'anmen (jetzt kann ich sagen: ich war an Heiligabend am Tian'anmen, und er war wie jeden Abend geschlossen, und es war eiskalt und menschenleer, aber ein Soldat hat sich nach mir umgedreht, als ich ihm Frohe Weihnachten wünschte). An der Uni geschah eine spontane 晚会 ("spät" "Meeting": Party), die ein bisschen später zu einer 早会 (same with "früh". Liuxueshenghua) umbenannt werden musste, und um 8 Uhr morgens kam ein frohes Telefon aus New York an, wo der Rest der Sippe gerade mit Weihnachtsessen anfing. So dreht sich die Welt Tag um Tag dem letzten Zipfel eines ereignisreichen Jahres 2008, und diesen Donnerstag, 25. Dezember 2008 um 14:18 schicke ich meine Jahres- Glücks- und Segenswünsche los, dass auf diesem oder aber auf dem telepathischen Wege meine Gedanken euch Freunde, Feinde und Verwandten erreichen und euch frohgemut ein gutes neues Jahr beginnen lassen.
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11/25/2008

Ein Fährtchen nach Jinan

Vor einem halben Monat hab ich zum ersten Mal die traute Beijinger Umgebung verlassen und bin für ein Wochenende in die kleine Provinzstadt Jinan (Shandong Provinz, 6 Mio Einwohner) gereist. Vom eindrücklichen Beijing Nanzhan fuhr ich drei Stunden im Schnellzug südwärts und kämpfte mich mit chinesischer Hilfe durch eine Geschichte im "故事报", den ich am Bahnhof gekauft hatte. Um 18:00, kam ich zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt des Tages in einer wenig beleuchteten Stadt an, fand nach 30 Minuten auch endlich ein Taxi, dessen Fahrer mich im langsamen Verkehr ein fröhliches Stündlein in Putonghua unterhielt, viel reiner und leichter als das rrr-verformte, teils kaum verständliche Beijinghua der Hauptstadt ...
Über Couchsurfing hatte ich einen Schlafplatz im Dormitory der Shandong University gefunden. Gastgeber + Freundin führten mich auf den Qianfoshan mit seinen skurrilen Buddha-Statuen aus der Tang-Dynastie und dann auf einen kleinen Kulturmarkt mit der ironischen Erklärung, soeben die Hälfte von Jinan's Sights gesehen zu haben. Jinan ist vor allem bekannt für seine schönen Quellen ("City of Springs") und Parks, wonach uns die Laune an diesem dunklen Tag aber nicht wirklich stand, und wofür es, wie ich dann am Sonntag sah, auch nicht gerade die Jahreszeit ist. Sonntag traf ich eine chinesische Freundin, mit der ich seit Yantai Kontakt habe, und die jetzt in Jinan Deutsch studiert. Wir verbrachten nur ein paar Stunden zusammen, da sie am Morgen Unterricht und am Abend Party Meeting hatte...
Das Wetter hatte aufgeklart, und ich hatte erst für Montag einen Zug nach Beijing zurück gefunden, so kaufte ich spontan und wieder um die vollste Zeit (was will man machen?) noch ein Ticket für den Putongche (der Zweitklass/Bummel-Zug) nach Tai'an am Fusse des Taibergs. Ich hatte Glück und kriegte noch einen Stehplatz. Obwohl der Zug zum Brechen voll war, wurde das Snack-Wägeli mit ach und krach durchgeschoben. In Tai'an liess ich mich überreden, ein paar Stunden im Hotel zu bleiben. Auch um Zimmerpreise muss man verhandeln.
Taishan ist einer von den fünf heiligen Bergen des Taoismus, zu dem seit 3000 Jahren gepilgert wird. Dazu ist er berühmt für seine Sonnenaufgänge. Um 12 Uhr nachts begann ich den Aufstieg zeitgleich mit zwei Studenten, die ich am Fuss des Bergs antraf. Zusammen froren wir uns durch knapp vier Stunden Treppensteigen und insgesamt zwei Stunden Pause, bis dass endlich der Morgen graute und uns auch ohne Sonnenaufgang einen stimmungsvollen Tagesbeginn bescherte. Die Sonne kam dann um 8 Uhr doch noch hervor, und ich rannte beflügelt den Berg hinab und auf den 10 Uhr Zug.
Der war nicht so übervoll wie am Tag vorher. Als ich Platz nahm, sass mir gegenüber der schönste Chinese, der je gesehen ward. Erfahrungsgemäss sind solche Exemplare so selten, dass mir gleich alle Geistesgegenwart für eine passende Reaktion schwand. In unserem bisschen Smalltalk brachte ich in Erfahrung, dass er Sportstudent war. Das kann man lustigerweise neben ihrer Seltenheit als das zweite Hauptcharakteristikum von ausländische Frauen anziehenden Chinesen bezeichnen. In Jinans Bahnhof schwand er mir aus den Augen. Gebrochenen Herzens kehrte ich zurück nach Hause.
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10/19/2008

Religiös in China

Heute hab ich mich aufgemacht zum Hause Gottes und bin fast pünktlich zur protestantischen 珠市口教堂 Zhushikou Jiaotang gekommen. Von mehreren Ushers angewiesen, betrat ich das dreistöckige blaugestrichenes Haus, mit einem kleinen Kreuz obendrauf als Kirche gekennzeichnet, und setzte mich auf den letzten freien Sitz hinten in der Ecke des zweiten Stockwerks. Ich durfte am Live-Gottesdienst teilnehmen; ein Mann mit Camera filmte für die Übertragung ins ebenfalls voll besetzte Erdgeschoss (in China gemeinhin der 1. Stock). Die Bänke sind jene Reihen-Klappsitze wie in Hörsälen (ohne Pult), daher die Schulstimmung; die Lieder wurden für die Gesangbuchlosen mit Powerpoint vorne projiziert. Der Gottesdienst wurde von einer Frau mit Zackzack-Stimme eingeleitet, ein langes Lied, das erste & letzte Gebet so schnell gesprochen, dass es den Zuhörern kaum für ein 阿们 Amen zwischen den Sätzen reichte. Vom zweiten Lied verstand ich ebensoviel wie vom ersten. Die Liturgie wurde von einer sanfteren Theologin gesprochen. Sie sprach von Nächstenliebe (weil, ich verstand Jesus und Liebe und ein paar andere Worte). Die Usherin neben mir reichte mir ein paar Zettel mit Gebeten und dem Kirchenbrief. Nach einem weiteren Lied & ein paar Mitteilungen drängten alle Chinesen chinesisch hinaus, von den vielen Besuchern sah man vor der Kirche bald nichts mehr. Beim Herausgehen erhielt ich eine sehr praktische zweisprachige Beijing Olympics Edition der vier Evangelien. (hier zu was Langem zu Christen in China)
Hungrig bezahlte ich dem Strassenverkäufer voller Nächstenliebe ganze 10 ¥ für ein 糖葫芦 Mehlbeer-Spiesschen. Muss das "Ich-bin-aber-gar-keine-Touristin"-Herumstreiten nicht auch am Sonntag haben ...

Unweit von der Kirche befindet sich die berühmte 牛街清真寺 Niujie-Moschee, auf der Chinareise letztes Jahr schon besucht. Diesmal hatte ich aber die Camera dabei, es war ein sonniger Tag und vielleicht finden sich die Fotos bald sogar online ;)
Zur Moschee statt zum Himmelstempel begab ich mich aufgrund eines Artikels der New York Times (ja ich les jetzt auch Zeitung) zur Situation der Muslime im Wilden Westen Chinas. Ich kann dazu nicht viel Kluges sagen. In der Moschee hier in Peking sah ich neben den letztes Jahr gesehenen Bettlern ein paar ausländische (türkische?) Kopftuchträgerinnen, ein paar chinesische Muslime auch, und zweidrei weisse Touristen. Ein Mann von Hebei sass hinter der Anlage in der Sonne und unterhielt mich beim Picknick über seine Uhrenkenntnisse.
Von der Moschee radelte ich zur grossen Fuxingmen-Chang'an-Jianguomen Dajie - Geraden hinauf und ritt (da folgt das Chinesisch dem Englischen "to ride a bike"), wie ich fand, triumphal an der Spitze aller Fahrräder am China National Center for the Performing Arts, dem Tian'anmen-Platz und dem "interessant" Oriental Plaza vorbei und dann zweimal abbiegen, und da wohne ich, grob gesagt.

Am Nachmittag folgte ein Appointment mit einem Sprachpartner (es wurde Zeit) und am Abend die langersehnte Vorstellung von 夜车, Night Train, im Yugong Yishan. Wer hätte gedacht, dass ich den hier zu sehen kriegen würde?
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10/11/2008

Wieder zwei Wochen vorbei

Jahhh ich gebe zu, eine Meisterin der Berichterstattung gebe ich hier nicht grade. Und auch die fotografische Dokumentation braucht ihre Zeit, gerade mit der schwer berechenbaren Internetverbindung der Schule. Um euch trotz Faulheit und faulen Ausreden über die letzten paar Ereignisse up to date zu halten, hier aus den letzten zwei Wochen wieder schriftlich/anekdotisch:

Wie erwähnt, haben wir die Woche vom 29. Sept. "Nationalferien".
Am Di, 30. September nimmt mich Nik, mein 网上认识的 Vorbild-Expat auf den Tian'anmen-Square zum Einholen der Nationalflagge. Es sind auch ein paar andere Leute da, weshalb der Zugang zum Platz zu unserer Sicherheit speziell erschwert wird. Mit schliesslich dennoch unkontrollierter Tasche gelangen wir durch den engen Eingang auf den Square. Im Gewühl bei der Barriere bedingt auch meine Körpergrösse, dass ich mich mehr auf die Leute um mich herum als auf das Zeremoniell vorne konzentriere. Anschliessend gibts Pizza am Houhai. Ich komme eigentlich ganz gut mit dem dreimal täglich China-Food hier aus ... Trotzdem wars schön, wieder mal einen Salatteller vor sich zu haben.

Am Mi, 1. Oktober werd ich morgens vom Cousin der Cousine in der Schweiz abgeholt & wir beschauen gemeinsam den 圆明园 Yuanmingyuan, den alten Sommerpalast. Der ist voller chinesischer Nationalfeiertagstouristen, die ihr bestes chinesisches Touristenbetragen zur Schau geben: Ein echter Mann schauts nicht an, der klettert drauf fürs Foto ;)
Zum z'Mittag gibts Hot Pot, wozu unsere fondue chinoise kein Vergleich ist (im Positiven). Danach aber holt mich meine Erkältung ganz ein und ich verschlafe mit Fieber den restlichen Besuch bei der Familie, die im Far West am 5. Autobahnring der Stadt lebt.
Am nächsten Morgen fahren sie mich für einen Arztbesuch gar zum Chaoyang Hospital. Trotz dem Native Speaker als Führer fahren wir das Gebäude einige Male rauf und runter, bis wir in der richtigen Abteilung beim richtigen Untersuchungszimmer ankommen. Mit dem Rezept und einer Menge anderer Zettel fahren wir runter ins U1 zum bezahlen, dann wieder rauf ins 1, um die bittere TCM (Traditional Chinese Medicine) abzuholen, und dann endlich raus aus dem Gebäude und ab ins Bett.

Übers Wochenende trinke ich viel Tee und schaue mir die 上个星期买的 neuen DVDs an: Die zwei chinesischen Filme sind ohne Übersetzung, aber "wenigstens" mit 中文 Untertiteln; der amerikanische Film 300 remains silent.
Am Sa, 4. treff ich durch Vermittlung vom Pfarrer der deutschen Gemeinde eine weitere Schweizerin. Sie arbeitet im deutschen Kindergarten & wohnt bei einem Basler, gleich bei der 世贸天界 mit dem Riesen-Bildschirm obendrüber, unweit von mir. Wir spazieren zum Ritan-Park und zurück und auf dem Heimweg chinesele ich euphorisch mit ein paar alten Fraueli auf ihrem Spaziergang um den Block.

Di, 7.: Früchtespiesse mit Karamell ...

Mi, 8.: Ich bestehe den ersten Lektionstest mit Bravour und darf erst noch meinen Aufsatz über mein erfundenes Apfel-Land 苹国 vorlesen. Den sonnigen Nachmittag nutze ich, um endlich die Ausstellung Our Future von C's NZZ-Artikel zu besuchen. Das 798 Galerienviertel freut sich über meinen Besuch und wird sich noch über viele weitere freuen.
Abends nimmt mich "meine" compatriote mit ans Riesen Fest der Deutschen Einheit. In der Deutschen Botschaft gibts "stilistisch" schon mehr zu sehen als in der Schweizerischen, und die (eingeflogenen?) Dresdner Würste und der Apfelstrudel sind fein. Es ist immer komisch, in einem fremden Land so viel Muttersprache & Verwandtes zu hören. Hängengeblieben: Das blaue fassadenbedeckende Kunstwerk am Hauptgebäude (ein T-Shirt?); die deutschen Kellner (eingeflogen?); die chinesische Jazz-Sängerin (schön!); die Chinesin im Dirndl. Zum Abschied kriegen wir auch eine grosse Schachtel mit kleinen Pins drin, von jedem Bundesland eins. (Praktisch, jetzt muss ich mir nicht eine Karte kaufen, um endlich die innenpolitische Einteilung Deutschlands auswendig zu lernen!)

Do, 9.: Jakob hat in Kanada mit einem Chinesen Bekanntschaft gemacht, der auf seinem Gebiet forscht; Im Grand Pacific Building über die Strasse kann ich die Schokolade abholen, die er ihm für mich mitgegeben hat. So klein ist die Welt.
Schokolade ist auch Vermittlungsgegenstand zwischen mir und meiner Tadjikischen Zimmernachbarin, dort wo die Sprachbarriere Russisch und Englisch trennt. An unserem ersten gemeinsamen Abend schon schenkte sie mir eine Toblerone ...
Aus einem Abendspaziergang die Xidawanglu hinauf nach Norden wird eine Nachtwanderung bis hinauf zur Solana-Mall jenseits des Westgates des Chaoyang-Parks (und zurück). Zum Vergleich: In Basel hätte ich die Stadt vom Bruderholz bis zum Eglisee-Schwimmbad durchquert, hier bin ich in anderthalb Stunden nur ein Stück "die Strasse rauf", und habe die Laufrichtung auf der ganzen Strecke gerade einmal geändert ...

Fr, 10.: Fischkopf mit Expats und einem Basler, nur 15 min zu Fuss von der Uni. Auf dem Hinweg liegt eine Toilettenschüssel auf der Strasse. Eine Mona Lisa hängt etwas weiter vorn in einer Einfahrt. Der Fotoapparat ruht ruhig & sicher zu Hause. Nach dem Essen und einer kurzen Sanlitun-Tour begebe ich mich zurück zu ihm und meiner kleinen Tadjikin. Er hat sie gut gehütet und heisst mich leer lächelnd willkommen.
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9/27/2008

September

chronologisch ...

Sa, 13. Sept:
Meine Fitnesscenter-Chinesin (meine chinesische Mama, sie heisst auch Maria) nimmt mich in die 朝阳图书馆, die Bibliothek an der Strasse mit, wo ich in einen Saal voll Freizeits-Englischlernenden jeden Alters trete. Die Lektion wird von einem fortgeschrittenen Volunteer moderiert; ich darf mich vorstellen und werde vor allem über meine Meinung und Gefühle den Olympics befragt, ob ich beim 鸟巢 Bird's Nest schon gewesen sei etc.; anschliessend treten einige Schüler vor und erzählen etwas auf Englisch, lautstark werden alle Fehler und Unklarheiten diskutiert, und anschliessend setzt man sich zu Free Speaking Gruppen zusammen - wobei ich mich sofort umrundet finde von gesprächigen Schülern. Wir wechseln ab zwischen Chinesisch und Englisch und sie lachen über meine schlechten Tonkenntnisse. Ein Geografie-Professor kennt alle Teile des Rheins auf Deutsch (!) und eine Hausfrau erklärt mir, in der Alltagssprache sei es nicht nötig, alle Sätze fertig zu machen.

Di, 16.
: In dieser Woche komme ich zur schmerzlichen Erkenntnis, dass Chinesisch auch eine Grammatik besitzt, und dass sie nicht einfacher ist, sondern ganz ebenso willkürlich und hinterhältig wie die anderer Sprachen.
Abends begebe ich mich zum Studenten-Empfang der Schweizer Botschaft. Im Moment, wo ich ins Taxi einsteige, bricht ein Riesengewitter über die Stadt los; Die hundert Meter vom Taxi zur Botschaft reichen aus, um meine Schuhe durchzunässen. Ich habe zum ersten Mal kalt, seit ich in China bin. Es sind etwas 30 Leute anwesend, freundlich und schweizerisch verhalten, die steuernfinanzierte Röschti ist zwar nicht gesalzen, der Rest ist aber ganz vernünftig. Als es aufgehört hat mit Regnen, nehme ich den Bus nach Hause. Busfahren ist jedesmal eine Überraschung; diesmal ist er nicht sehr voll, die Leute schauen mich mit grossen Augen an und ich kriege sofort einen Sitzplatz angeboten.

Sa, 20.: Ich besuche in der 北堂, der Nordkathedrale, um 17 Uhr den katholischen Gottesdienst (wiederum auf Deutsch) und bewundere zwei erstaunliche chinesische Marienbilder. Diesmal fahre ich in einem dunklen, vollgestopften Bus nach Hause und steige rechtzeitig aus, bevor ich vollständig erdrückt werde. Zum z'Nacht gibts vom Koch live hand-pulled noodles in einer Beiz auf einem stylischen Gundeldinger-Feld-Areal im Sanlitun. Dazu eine witzige Unterhaltung über chinesische Bürokratie und Gesundheitsrichtlinien.

Di, 23.: Bei der spontanen Block-Umrundung mit einem kongolesischen Flurnachbarn stossen wir auf einen Tanzwettbewerb, der neben dem McDonalds abgehalten wird. Unter vielen traditionellen Darbietungen sehen wir auch eine taubstumme Bauchtanzgruppe, deren synchrone Bewegungen mich beschämt den Kopf abwenden lassen.

Mi, 24.: Ich besuche spontan die Eröffnungsveranstaltung des Crossings Festival, einem alljährlichen independent-Film/Tanz/Theater-Happening. Der Schweizer Regisseur Peter Liechti zeigt dort fünf seiner Filme; "Signers Koffer" der erste in dieser Reihe. Die Zuschauer sind hauptsächlich chinesische Kunst&Film-Studenten, ein weiterer Schweizer Filmschaffender und ich bilden die Ausnahme. Die anschliessende Diskussion ist angeregt und interessant, nach einer knappen Stunde jedoch verlassen die meisten den Ort, um sich auf den morgigen Workshop vorzubereiten. Wir essen zu dritt z'Nacht im "Village", gleich wo sich die Galerie befindet (Beijing erinnert hier draussen am 5. Ring tatsächlich eher an ein armes Dörflein als an eine boomende Metropole ..).

Do. 25.: Im Auftrag unserer 口语 - Sprachlehrerin gehe ich mit dem Vokabular der 1. Lektion Fotos entwickeln, komme aber nicht dazu, mich weitschweifiger zu unterhalten als "diese Grösse", "jene Fotos", "Danke". Enttäuschend. Dafür werde ich im Unterricht genötigt, lang und breit über mein Land zu erzählen (Berge, Skifahren); ich stottere schon immer weniger betrachte stolz die Beige meiner vollgeschriebenen Schreib-Übungs-Heftli.

Fr. 26.: Ich lasse mir die Haare schneiden in einem Coiffeurladen, der fast gleich heisst wie ich: 苏珊娜. Obwohl sie nicht weiter fragen, was ich denn für eine Frisur möchte, habe ich keine Angst. Ausführliche Kopfmassage und zuvorkommende Behandlung, dafür ist die Frisur jetzt nicht gerade schockierend anders als vorher. Aber das ist ja nicht unbedingt schlecht. In einer Mall, die bald geschlossen wird, ist Einkaufen zwar weniger anstrengend, aber auch weniger lustig, weil sie nicht mehr verhandeln. In einem Supermarkt erstehe ich "teurere" DVDs (um die 15¥), weil sie wohl nicht offiziel Raubkopien sind - oder so. Ich stelle keine Fragen ;)

Sa, 27.: Die chinesischen Strumpfhosen halten überraschenderweise den Abend lang ohne Laufmaschen. Ich übernachte nach einer langen Geburtstagsfeier bei den Albanerinnen. Ja, ich weile wohl innerlich noch halb in Europa ... zumindest, wenn man von meinen bisherigen Bekanntenkreis hier im Fernost her schliessen will. Aber ich mühe mich, ich mühe mich - und habe in meinem ersten Monat in Beijing doch schon allerhand erlebt.
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9/15/2008

苏姗告诉事 - Sushan erzählt Sachen

Nach dieser ersten fiesen Schulwoche durfte ich ein recht ereignisreiches Wochenende erleben. Freitag Abend nahm mich die albanische Botschaftertochter in einen neuen Club in Sanlitun (dort wo sich 差不多 alle Clubs befinden), wo sie und ihre Freundin den Manager um den Finger gewickelt haben, dass er sie jedesmal gratis einlässt und wie VIPs behandelt. Das ist nützlich, um den Abend günstig zu starten. Am Nachmittag war ich mit einer Deutschen aus der Schule noch einmal im Chaoyang Park gewesen, habe meinen blau-goldenen Sonnenschirm ausgezuführt und nach dem Fremdsprachen-Bombardement an der Uni das Gespräch mit einer sinnesverwandteren Seele genossen.

Samstag gingen wir (die Deutsche und ich) dann gemeinsam schwimmen, vietnamesisch essen und schauten uns danach ebenfalls im Sanlitun die rooftop- Bar Blu an. Ungleich dem Obiwan beim Xihai war die Stimmung hier nicht beschaulich und ruhig; der Ausländeranteil hingegen ebenfalls um die 100% (wenn man von den asiatischen-Frauen-mit-weissem-Mann absieht) Der Abend endete leider abrupt damit, dass ich beim Verlassen des Gebäudes die Treppe runterfiel; der Kopf hörte zum Gück gleich auf zu Bluten, und immerhin gingen wir an diesem Abend nicht zu spät ins Bett ;-)

Sonntag morgen besuchte ich den evangelischen Gottesdienst in der deutschen Botschaft und ging anschliessend in einem kleinen 饭馆 Fanguan 饺子 Jiaozi essen - wobei ich die Gelegenheit ergriff, und auf dem rein chinesisch geschriebenen Menu von denen mit dem Zeichen 狗 für Hund nahm ...

Sonntag war auch 中秋节, das traditionelle Mid-Autumn-Festival, wo es der Brauch ist, mit der Familie zusammenzukommen und den 月亮 Vollmond zu betrachten, der um diese Zeit im Jahr der Erde am nächsten sein soll. Mit der Deutschen und einem Kongolesen vom gleichen Stock kauften wir im Supermarkt alle Sorten dieser zweifelhaften Mondkuchen und setzten uns in die Cafeteria, als es zu regnen begann - erst mal also nichts mit Mondschau. Später setzten wir in ein Nudel-Fastfood-Restaurant über, wo das Bier nur 3 Yuan kostet, und lachten über fremde Küche und fremde Tischmanieren und vor allem über unser Chinesisch-Niveau (Mandarin können heisst nicht, Beijing-Hua zu verstehen!) und fanden noch später einmal mehr im Sanlitun, obwohl ich ja diesen Abend nicht gehen wollte ... Um 2 Uhr morgens aber sah ich dafür den Vollmond am klaren Nachthimmel über den Hochhäusern.

Heute Montag hatten wir wegen des gestrigen Feiertags noch frei, und es ist schon gar nicht mehr weit bis zum 1. Oktober, dem chinesischen Nationalfeiertag; Gerüchte gehen um, dass man da die ganze Woche Ferien hat. Der Onkel meiner Cousine rief an, und nun bin ich eingeladen, den Nationaltag mit seiner Familie zu verbringen. Da muss ich aber noch chinesisch lernen zuerst! Wah. Ich stand um 10:00 auf, las mein Wei-Hui-Shanghai-und-Sex-Buch fast fertig, räumte nicht auf und rannte aus dem Sushe in den Supermarkt, und mit Picknick ins Taxi an den Houhai, wo ich die ehemalige Austauschschülerin aus Nanjing traf, die mit mir den ganzen Nachmittag Chinesisch übte. Sie arbeitet als Volunteer bei den Olympics und Paralympics und kann mir vielleicht Tickets für den Niao-Chao-Park während der Closing Ceremony besorgen. Wir hattens lustig und wanderten beide zum erstenmal an diesem kleinen Seelein und den dahinter liegenden Touristen-überschwemmten Hutongs vorbei, und ich kam richtig rein ins Reden und Denken in dieser anderen Sprache. Mit dem Taxi fuhr ich von diesem alten Quartier nach Hause, hinein in die Hochhäuser, ein spektakulärer Szene- und Tempowechsel innert ganz kurzer Zeit, immer wieder überraschend.

Mit meiner Tadjikin ging ich gleich wieder los nach Xidan und kaufte zu viele Kleider; und jetzt schreibe ich blog statt meinen 300-Zeichen-Aufsatz in Angriff zu nehmen für morgen. Und dann gehe ich auch wieder zu spät ins Bett ... Tztz. Ich wollte doch hier ein fleissiger, pünktlicher und dezenter Mensch werden!
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9/11/2008

Träume

Heute war ein schöner Tag. Nach einer nicht-so-gut-Phase gestern, wo mir das China-Jahr wie ein schwarzer Nebel aus Einsamkeit und ein Berg aus unentzifferbaren Schriftzeichen den Sinn trübte, wachte ich heute ängstlich auf, fasste aber während des Morgens wieder Mut, lachte mit der albanischen Banknachbarin, ass mit der deutschen AK-Zwillingin z'Mittag, führte ein Telefongespräch fast ganz auf Chinesisch und verabredete mich gleich mit zwei Chinesinnen. Ich wechselte aus dem Zimmer mit der Kasachin ins Nachbarszimmer, das ich nun mit einer Tadjikin (?) teile, richtete mich ein, genoss den Tag und ging am Abend allein in den riesigen Chaoyang Gongyuan, der Vergnügungspark "ganz in der Nähe".

Der Mond schien, man sah Sterne am Himmel und viele Liebespaare tummelten sich am Seelein, wo die Enten-Böötli alle schön am Ufer entlang aufgereiht lagen ... Trauerweiden ... ein lauer Abend etc. Der Eintritt in den Park kostet auch nur 5 Yuan, nicht 20, wie im Beihai. Beim Zurückkehren hatte ich die merkwürdige Idee, in einem Traum zu wandeln. Als wäre ich an einem bestimmten Karussell schon einmal vorbeigelaufen ... Das Taxi fuhr mich heim, mit dem Zimmernachbarn ging ich noch einmal um den Block, bevor ich mich zurück zu meinen Hanzi begab. Und zum erstenmal bin ich entspannt, seit die Schule angefangen hat ... First hard week is over :) endlich.

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9/04/2008

Beijing! Ankunft

Der Flug: 5 Filme. Kein Schlaf. Müde Beine ... Do. 28/08/08
Nach 13 Stunden in einem dunklen, halbleeren Flugzeug war die Ankunft im neuen Terminal des Beijing Airport nicht nur im übertragenen Sinne wie der Eintritt in eine neue Welt - eine stille, teure, vornehme Welt, wie ich sie von meiner ersten Reise im letzten Frühling nicht in Erinnerung hatte. Der glänzende helle Steinboden, den ich später zu meinem Erstaunen sogar in der U-Bahn antreffen würde, war rutschig, so glatt, und das kühle Plätschern eines Springbrunnens erfüllte die Halle.

Bis der Eindruck verdaut war, stand ich auch schon am Ausgang des Flughafens und wurde vom ehemaligen Mitschüler einer Schweizer Freundin in Empfang genommen. Ab in die drückende Hitze des Pekinger Sommers - durch den Smog sah man kaum die Sonne und die Luft legte sich um uns wie eine warme Wolldecke. Die Strecke zur Shoudu Jingji Maoyi Daxue, Capital University of Economy and Business, war zum Glück relativ kurz. Am selben Abend besorgte mir Hu Ruyi noch ein Handy und nahm mich zum Znacht mit.

Am nächsten Morgen gings schon um 8 Uhr weiter mit Geld abheben - wobei mir die PostFinance-Limite in die Quere kam - und anstehen im Financial Affairs und Liuxuesheng Bangongshi, dem Foreign Students Office. Danach legte ich mich ins Bett und liess mich erst zum Znacht von meiner kasachischen Mitbewohnerin aus dem Bett holen. Nach einem unterhaltsamen Stadtspaziergang gingen wir wieder schlafen; für die Mittagsruhe bezahlte ich dann um 3 Uhr morgens, als ich hellwach auf dem Balkon meines Zimmers beobachtete, wie der Tag über die Stadt kam.

Mit dem neuen Reisebegleiter in der neuen Handtasche (Catrina <3) machte ich mich auf ein erstes Erkundungstüürchen, verfuhr mich, fand den Friendship Store, den Ritan Park und spazierte durch das Sanlitun Quartier bis zum Bookworm, es regnete ein bisschen aber es war trotzdem sehr schön und auch ein bisschen surreal, irgendwie. (Das war jetzt so ein Flick-Schreiben, weil ich beim Editieren der Fotos versehentlich den Abschnitt gelöscht hab).

Die folgenden zwei Tage waren strahlend blau behimmelt und dank Jetlag konnte ich sie weiterhin früh beginnen; Ich stattete der russischen Pelzmantel-Strasse Yabaolu (gleich neben dem Sonnentempel), der Wangfujing Einkaufsmeile, dem Beihai-Park neben dem Kaiserpalast, und mit zwei Freundinnen aus der Schweiz dem Dashanzi 798 Kunst-Areal ausgedehnte Besuche ab.
Ich gewöhnte mich bald wieder ans Feilschen, ging aber den Verkäufern, ganz zu ihrem Vergnügen, noch ein paarmal auf den Leim, probierte Milchglacé und Nature-Yoghurt zum Schlürfen von Strassenhändler, fuhr an der Chaoyang Christian Church vorbei, sah den Karten spielenden Männern und den Walzer tanzenden Paaren abends in den Strassen zu und ging für 100 Yuan ins Fitnesscenter schwimmen. Da schwatzte eine Chinesin 1 km lang mit mir durch, und jetzt bin ich "auf sehr bald" zum Tee eingeladen.

Die Leute hier sind bestimmt nicht homophob, ihr Leben spielt sich viel mehr noch als in Europa an öffentlichen Orten ab. Zum Beispiel die Basketballer vor unserem Balkon, die täglich um 6 Uhr morgens (!) kommen und um 22 Uhr wieder gehen ... Dazwischen die Turn- oder Tanzgruppen um 7 Uhr morgens und abends etc. etc. Und das macht wohl auch die angenehme Atmosphäre der Stadt aus, dass sich die Leute vom 24/7-Businessrummel rundum nicht aus der Ruhe bringen lassen.
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9/03/2008

CH-CA-CN


Nach abgeschlossenem Putzmarathon und erfolgreicher Hausübergabe verabschiedeten Magdalena und ich uns von unseren Basler Freunden, während Maria mit Christina und Lucienne die letzte Nacht in der Schweiz bei den Berner Grosseltern verbrachten. Am Zürcher Flughafen trafen wir am 1. August frühmorgens zusammen und traten nach letzten Adieus von Heidi und Yasar und Magdalenas "Komitee der Allerliebsten" den langen Flug nach Toronto an. Trotz vieler Tränen und kaputter Video-Bildschirmen ausgerechnet an unseren Sitzen (hinterhältig & gemein!) kamen wir um 3 Uhr Nachmittags Ortszeit wohlbehalten auf kanadischem Boden an und wurden von Jakob, der vor uns noch an einer Veterinär-Konferenz in Vancouver teilgenommen hatte, mit einem mega-posh-Mietgefährt (Dodge - und etwas) sogleich nach Guelph in ein B&B unweit des zukünftigen Heimes chauffiert. Abends bei Fish&Chips erhielten wir einen ersten Eindruck des verschobenen kanadischen Dimensionsgefühls.

Gleich am nächsten Tag führte uns eine kanadisch-schweizerische Familie, nachdem sie uns beim Kauf eines Occasion-Autos geholfen hatte, zu den Niagarafällen und ins "Swiss Chalet" - ein Restaurant dessen BBQ-Angebot nicht unbedingt für
Heimatsgefühle, für Genuss aber sicher sorgte. In den nächsten Tagen in Guelph lagen wir Kinder vor allem müde herum, während die Eltern die letzten Dinge organisierten, bevor wir auf Landeserkundigung aufbrechen konnten. Auf einem Stadtspaziergang sahen wir ein wenig von der Stadt und auch den Lake Guelph, ein Stausee in der Nähe, lernten wir kennen.

Ende der Woche endlich fuhren wir von B&B-Hotel fort und in den Sandbanks Provincial Park am Lake Ontario. Dort, an einem der Great Lakes, erklärte uns die Weite des Landes, warum alles hier so grosszügig angelegt ist - für uns Bewohner des dichtbesiedelten Europas so ungewohnt. Die Wellen des Ontariosees lockten uns wie ein Süsswassermeer und wir alle vier Mädchen spielten, bis wir so erschöpft waren, dass die Eltern uns bekochten und wir alle ohne abzuwaschen um 9 Uhr ins die Schlafsäcke krochen. Nach zwei Nächten gingen wir weiter nach Ottawa, von wo uns die Grossmutter einer weiteren befreundeten Familie kanadischen Ursprungs zu ihrem Cottage in Val des Bois (nördl. von Gatineau) im Québec führte.

Dort verbrachten wir eine sehr enstpannte Woche in allem Luxus, den ein Häuschen mit Kanu und Kajak an einem stillen moorigen Stausee bietet. Jakob und Lulu fingen am ersten Tag unlizenziert einen Fisch, wir assen Pancakes mit Ahornsirup und Pancakes mit Ahornsirup und Pancakes mit Ahornsirup und paddelten über den See und sonnten uns und spielten und wanderten durch den Gatineau-Park, blickten von der Pierre de Niton auf Ottawa und die Ebene des Ottawa Rivers hinab, und schrieben Briefe an die Schweiz. Val des Bois ist wirklich ein verwunschener Ort. Nur ungern verliessen wir ihn am Ende dieser schönen Woche, um über Montréal und Québec City nach Tadoussac am St. Lorenz-Strom zu gelangen.

Tadoussac liegt an der Mündung des Saguenay-Fjords (einer der wenigen kanadischen Fjorde) und des St. Lorenz in den Atlantik. Die Tiefe des Beckens, wo der Saguenay-Fluss und der St. Lorenz zusammenfliessen, bewirkt eine Schichtung des warmen Süsswassers und des kalten Meerwassers. Ideale Bedingungen für Phytoplankton und Krill - und deshalb sommers viel besucht von Walen, die im Norden ihre Fettreserven anlegen für die winterliche Fortpflanzung im Süden. Mit einem Motorboot fuhren wir auf Erkundung aus und beobachteten die grossen Wasserfontänen der Finnwale und die Schwanzflossen-Schau einiger Buckelwale. Vom Cap du Bon Désir, einem Felsen direkt am Meer, kamen kleine Finnwale bis auf 30 Meter heran und zeigten bei der spektakulären Oberflächen-Nahrungsaufnahme auch die Unterseite ihrer grossen Mäuler. Einen Blauwal sahen wir leider nicht ... Dafür hatten wir ein weiteres Mal grosses Glück, als wir Beluga-Wale ein Stück weiter hinten im Fjord in der Baie St. Marguerite besuchten. Bei Tadoussac lebt die südlichste Beluga-Kolonie und Forscher arbeiten intensiv mit ihnen und den Touristen. In den Schutzzonen wurden wir kompetent unterrichtet über Biologie, Sozialverhalten, Sprachsystem und auch über die Geschichte der Wal-Jagd bis heute.

Wir besuchten auch ein Indianer-Reservat beim Lac St. Jean, den Saguenay-Fluss ein recht
weites Stück hinauf. Gleich vor dem Museum wurde ein Mann verhaftet; Neben Alkohol, Drogen und Armut sprang aber auch das Engagement der Mashteuiatsh für den Erhalt ihrer Geschichte & Kultur und für Gehör bei den kanadischen Behörden. Die Problematik bleibt aktuell. Im gut ausgestatteten Museum sahen wir einen Film über traditionelles Jagen und Fischen, Handwerker zeigten, was ihnen ihre Eltern und Grosseltern gelehrt hatten und wir lasen viel über Kolonisation und Missionierung und eben auch Verdrängung dieses Volkes.

Nach vier Nächten fuhren wir zurück nach Québec City, direkt ins 400-Jahres-Jubiläum der Stadt hinein. In dieser Stadt fühlte ich mich plötzlich "vertrauter", weil die Strassen und Häuser viel europäischer (enger) gebaut waren. Neben Militärmusik-Paraden und Strassentheatern erlebten wir auch ein rührseliges gratis Openair-Konzert von Céline Dion zusammen mit 10000 stolzen Québécois.

Als letzte Reise-Etappe gastierten wir auf einem Gänse-verschissenen-und-mücken-bewölkten-aber-sonst-wunderschön-gelegenen Campingplatz am Ontariosee und besuchten das Upper Canadian Village, eine Art Ballenberg-Freilichtmuseum. Das Dorf aus den 1860ern beherbergte eine Sägerei, eine Kornmühle, eine Bäckerei, ein Gasthaus, einen Fassbinder, eine Kirche etc, und die Museums-Leute gaben kompetent und unterhaltsam Auskunft. Hier fanden wir endlich wieder einmal Vollkornbrot, das wir sogleich genüsslich aufassen, und dann gelangten wir nach einer langen Heimfahrt und einem letzten Mal Tim Horton's zum Znacht in Guelph an.

Die letzten Tage, die ich in Kanada erlebte, waren mit Auspacken, Einrichten und Einkaufen gefüllt, und ich bin sehr froh, vor der grossen Reise noch so vieles mit der Familie erlebt zu haben. Alle begleiteten mich an den Toronto Airport und ich konnte den Flug wohlgemut begehen.