4/08/2009

Bekehrung

Gestern habe ich einer Jingju-Performance beigewohnt (aka: Peking Oper. Schiefe Musik, schriller Gesang, grelle Kostüme, Touristenschreck...). In einer Vorstellung von "Red Cliff", ein Stück basierend auf dem historischen Film, der diesen Winter in den Kinos lief. Überraschenderweise hat mir das ganz gut gefallen. In einem ganzheitlichen Zusammenhang wirkten Gesang und Musik weniger fremd, der Plot war spannend und grösstenteils verständlich und das (chinesische) Publikum applaudierte aktiv nach jeder längeren Arie. Und erst noch fanden Adi und ich dank Tante Ma gratis Eintritt ins grandiose National Center of the Performing Arts. Dieses Foto stammt von letztem Jahr. Innen sieht das Nationaltheater übrigens ganz anders aus als aussen und ist durchaus einen Besuch wert.

Das Wallmart-Fahrrad, das hier zu sehen ist, ist übrigens schon Geschichte. Gestohlen, während ich in Hong Kong weilte... Möge der Dieb Reichtum und Glück finden mit meinem traumblauen Eingänger.
Tante Ma gemäss soll Peking am Dienstag mt 27.5°C die wärmste Stadt Chinas gewesen sein, ein ganzes halbes Grad wärmer als Guangzhou. Ob das möglich ist? Liesse sich Berlin derart mit Lissabon vergleichen?
Auch Dienstag hab ich zum wiederholten Mal "The Catcher in the Rye" angefangen - aber diesmal auf Chinesisch. :)
Soweit für heute...

4/07/2009

Frühlingserwachen 2

Letzte Woche kam Brigitte Koller mit ihrer jetzigen Chinesischklasse in Peking an. Mit müden Schülern besuchten wir die Grosse Halle des Volkes. Donnerstag fuhren sie nach Yantai für eine Woche Schüleraustausch. Adi D., weil er die Matur schon hat, blieb allein in Peking und darf bei Tante Ma (Ma Ayi, meine Schwimmbadfreundschaft) wohnen.

Anlässlich des Qingmingjie (4.-6. April: Gräberreinigungs-Fest) besuchten wir zusammen (wieder unter der Leitung von Davis Chen) ganz im Westen der Stadt einen Eunuchenfriedhof und den Fahai Tempel mit seinen Freskos aus der Mingzeit. Weil der Tempel abgedunkelt ist, um die 500 Jahre alten Gemälde zu schützen, zerstörten die Roten Garten in den 60ern nur die Buddha-Statuen im vorderen Teil und liessen die kostbaren Malereien ungestört. Sometimes ignorance is bliss. Reiche Eunuchen bauten sich einst Tempel mit dem Gedanken, dass die Mönche im Alter für sie sorgen würden, weil sie ja keine Kinder hatten. Der sich diesen Tempel baute, hatte direkte Beziehungen zum Kaiser und soll die 15 besten Kaiserlichen Maler angestellt haben. Mit der Taschenlampe leuchteten wir uns Details wie die Äderchen am Ohr eines Fuchses heraus.

Peking (wenn das noch zur Stadt gezählt werden kann) gleicht hier einem Dorf. Auf einem grossen Markt kauften wir Papiergeld, das wir am nächsten Tag Ma Jinghua's Familie geben wollten (das ist anscheinend in Nordchina weniger gebräuchlich als in Hong Kong, wo an jeder Ecke ein Laden mit Papiergeld für die Toten steht). Wir fanden US-Dollars in Bündeln für nur 5 Yuan :)

Sonntag begleiteten wir Ma und ihren Ehemann ans Grab seiner Eltern. Der Babaoshan-Friedhof ist der grösste in Peking, und viele wichtige Männer aus Militär und Partei liegen dort zur Ruhe. Sowohl Ma's Vater wie auch ihr Mann (und sein Vater) nahmen hohe Positionen ein in der Armee. Leider ist Papiergeld verbrennen auf diesem Friedhof verboten. Mas Tochter und ihr Mann nahmen uns dann mit zu den Hutongs um den Trommelturm und ein paar traditionellen Lao Beijing Snacks. Abends fanden wir uns dann wieder für BBQ im Obiwan ein, dessen Dachterrasse nach dem langen Winter endlich wieder geöffnet hat. Und heute war es 30 Grad warm und sonnig.

4/06/2009

Frühlingserwachen

Im März begann die Sonne langsam, die Stadt ein bisschen länger und wärmer zu bestrahlen, und in den steigenden Temperaturen wachte Peking endlich aus seinem Winterschlaf auf. Die Wandervögel kehrten in den Norden zurück und vor allem (bei Vögeln kenn ich mich ja nicht so aus) wurden wieder vermehrt Touristen gesichtet an den heiligen und alten Tempeln und Palästen ringsum... Ein paar davon durfte ich persönlich kennenlernen und begleiten, und mit ein paar davon durfte ich Wiedersehen feiern. Und u.a. dank Couchsurfing gelangte ich an ein paar neue und erstaunliche Orte dieser Stadt.

Es begann mit Sebastian, der mit der Transsib aus Moskau angekommen war. Bevor er auf seine weitere Chinareise aufbrach, besuchten wir zusammen den Himmelstempel, wo wir gleich alles zu sehen kriegten, wofür Peking geliebt wird: Trainierende Senioren an den Fitnessgeräten vor dem Park; ein Regiment von Walzertänzern; Peking-Oper Solisten mit Begleitung, ein Impro-Orchester mit traditionellen Instrumenten und einen Chor, der die ganze Arkade vor dem Tempeleingang füllte... und an einem anderen Abend offenbarte uns die Wangfujing Dajie ihre Snack-Street mit Skorpions-Spiessli und anderen erschreckenden Sachen.

In den Pekinger Unis wurde die die Semaine de la Langue Française durchgeführt, in deren Rahmen die Genfer Rapband Deklin zusammen mit Accrophone aus Kanada und James Deano aus Belgien an der Beiwai Uni auftraten, wo Wei studiert. Sogar die CH-Botschaft war anwesend. Wir vertanzten den Abend (also Wei und ich) und ich verpasste um Haaresbreite die letzte Ubahn.

Mit Wilfredo nahm ich an einem Spaziergang unter dem Titel "Unique Hutongs in Qianmen Neighbourhood" teil, wo wir Einblicke in das engste, das meist-gewundene und das kürzeste Hutong in Peking erhielten, und an einem alten Zunfthaus, einer kleinen Moschee, der Zhushikou-Kirche und einem Strassenmarkt und dem alten Rotlichtviertel vorbei kamen. Die Gegend um das Qianmen bis hinunter zur alten Stadtmauer war zu Zeiten der Qing-Dynastie von der niedrigeren Gesellschaftsschicht bewohnt und die Hutongs dort sind entsprechend enger und kleiner als ihre touristisch aufgemotzten Gegenstücke um den Kaiserpalast und den Shichahai herum. Die ehemalige Handelsstrasse, die vom Qianmen nach Süden führte, wurde anlässlich der Olympiaden renoviert in einem zweifelhaften Versuch, den Reiz von früher wieder herzustellen (inkl. Touristenträmli auf 200m-Schienenstrecke). Aber abgesehen von diesem einen Missgriff strahlen die Hutongs rund herum noch viel Authentizität und Schönheit aus und halten drohenden destruktiven Baumassnahmen hoffentlich noch ein bisschen stand.

Im südlichen Chongwen Quartier befindet sich auch ein Observatorium mit jesuitischen Astronomie-Instrumenten, das auf der früheren Stadtmauer stand, das letzte Stück der alten Stadtmauer mit einer Kunstgalerie im Eckturm und das alte Delegations-Quartier mit erstaunlichen Gebäuden ausländischer Architektur und einer kleinen gotischen Kirche. Ausserdem fand ich das Pekinger Polizeimuseum, das gleich gegenüber vom Obersten Gerichtshof steht.

In der Chongwenmen Protestant Church, einem recht grossen Gebäude in einem Hutong nahe der alten Stadtmauer, hörte ich meinem ersten simultan-übersetzten chinesischen Gottesdienst zu. Lustigerweise fand ich mich auf der Ausländer-Bank neben einem Zürcher wieder. Die Kirche war gepackt voll mit etwa 300 Personen. Nach dem GD stand schon eine lange Schlange für den nächsten in der Gasse. Ich hatte den Ton der Prediger bei den Besuchen in der Zhushikou Jiaotang nicht missdeutet; der Inhalt der ewig dauernden Liturgie tendierte eher zu einer maoistischen Volks-Indoktrinierung "Schaut, dass ihr auf die Arche kommt, bevor sie voll ist! Studiert täglich mit Hingabe die Worte Jesu Christi! Betet und übt Selbstkritik!" als zu (mir näheren) nachdenklichen Textauslegungen. In der Bank vor mir schliefen ein paar Frauen ein. Bevor das Abendmahl ausgeteilt wurde, rief die Predigerin alle Ungläubigen und Ungetauften auf, die Kirche zu verlassen. Etwa die Hälfte der Besucher gingen hinaus. Stolz war ich, als ich bei einigen Liedern mitsingen konnte, obwohl sie im Liederbuch nur mit Zeichen geschrieben sind.

Davis Chen, der schon den Hutong-Trip durchgeführt hatte, organisierte einen Besuch auf den Huanghuacheng-Abschnitt der Grossen Mauer, wo sich auch die best erhaltene Militärfestung an der Mauer befindet. Das Hawk Castle wurde 1592 in der Ming Dynastie gebaut und wird bis heute bewohnt. Es soll während der Ming Dynastie Angriffen von Mongolen und vor einigen Jahrzehnten den Sovjeten standtehalten haben. Gegen letztere wurden auch rätselhafte Tunnels in die Berge ringsum gebohrt, als China Schutzvorkehrungen für den Fall eines Atomkriegs traf.