10/19/2008

Religiös in China

Heute hab ich mich aufgemacht zum Hause Gottes und bin fast pünktlich zur protestantischen 珠市口教堂 Zhushikou Jiaotang gekommen. Von mehreren Ushers angewiesen, betrat ich das dreistöckige blaugestrichenes Haus, mit einem kleinen Kreuz obendrauf als Kirche gekennzeichnet, und setzte mich auf den letzten freien Sitz hinten in der Ecke des zweiten Stockwerks. Ich durfte am Live-Gottesdienst teilnehmen; ein Mann mit Camera filmte für die Übertragung ins ebenfalls voll besetzte Erdgeschoss (in China gemeinhin der 1. Stock). Die Bänke sind jene Reihen-Klappsitze wie in Hörsälen (ohne Pult), daher die Schulstimmung; die Lieder wurden für die Gesangbuchlosen mit Powerpoint vorne projiziert. Der Gottesdienst wurde von einer Frau mit Zackzack-Stimme eingeleitet, ein langes Lied, das erste & letzte Gebet so schnell gesprochen, dass es den Zuhörern kaum für ein 阿们 Amen zwischen den Sätzen reichte. Vom zweiten Lied verstand ich ebensoviel wie vom ersten. Die Liturgie wurde von einer sanfteren Theologin gesprochen. Sie sprach von Nächstenliebe (weil, ich verstand Jesus und Liebe und ein paar andere Worte). Die Usherin neben mir reichte mir ein paar Zettel mit Gebeten und dem Kirchenbrief. Nach einem weiteren Lied & ein paar Mitteilungen drängten alle Chinesen chinesisch hinaus, von den vielen Besuchern sah man vor der Kirche bald nichts mehr. Beim Herausgehen erhielt ich eine sehr praktische zweisprachige Beijing Olympics Edition der vier Evangelien. (hier zu was Langem zu Christen in China)
Hungrig bezahlte ich dem Strassenverkäufer voller Nächstenliebe ganze 10 ¥ für ein 糖葫芦 Mehlbeer-Spiesschen. Muss das "Ich-bin-aber-gar-keine-Touristin"-Herumstreiten nicht auch am Sonntag haben ...

Unweit von der Kirche befindet sich die berühmte 牛街清真寺 Niujie-Moschee, auf der Chinareise letztes Jahr schon besucht. Diesmal hatte ich aber die Camera dabei, es war ein sonniger Tag und vielleicht finden sich die Fotos bald sogar online ;)
Zur Moschee statt zum Himmelstempel begab ich mich aufgrund eines Artikels der New York Times (ja ich les jetzt auch Zeitung) zur Situation der Muslime im Wilden Westen Chinas. Ich kann dazu nicht viel Kluges sagen. In der Moschee hier in Peking sah ich neben den letztes Jahr gesehenen Bettlern ein paar ausländische (türkische?) Kopftuchträgerinnen, ein paar chinesische Muslime auch, und zweidrei weisse Touristen. Ein Mann von Hebei sass hinter der Anlage in der Sonne und unterhielt mich beim Picknick über seine Uhrenkenntnisse.
Von der Moschee radelte ich zur grossen Fuxingmen-Chang'an-Jianguomen Dajie - Geraden hinauf und ritt (da folgt das Chinesisch dem Englischen "to ride a bike"), wie ich fand, triumphal an der Spitze aller Fahrräder am China National Center for the Performing Arts, dem Tian'anmen-Platz und dem "interessant" Oriental Plaza vorbei und dann zweimal abbiegen, und da wohne ich, grob gesagt.

Am Nachmittag folgte ein Appointment mit einem Sprachpartner (es wurde Zeit) und am Abend die langersehnte Vorstellung von 夜车, Night Train, im Yugong Yishan. Wer hätte gedacht, dass ich den hier zu sehen kriegen würde?
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10/11/2008

Wieder zwei Wochen vorbei

Jahhh ich gebe zu, eine Meisterin der Berichterstattung gebe ich hier nicht grade. Und auch die fotografische Dokumentation braucht ihre Zeit, gerade mit der schwer berechenbaren Internetverbindung der Schule. Um euch trotz Faulheit und faulen Ausreden über die letzten paar Ereignisse up to date zu halten, hier aus den letzten zwei Wochen wieder schriftlich/anekdotisch:

Wie erwähnt, haben wir die Woche vom 29. Sept. "Nationalferien".
Am Di, 30. September nimmt mich Nik, mein 网上认识的 Vorbild-Expat auf den Tian'anmen-Square zum Einholen der Nationalflagge. Es sind auch ein paar andere Leute da, weshalb der Zugang zum Platz zu unserer Sicherheit speziell erschwert wird. Mit schliesslich dennoch unkontrollierter Tasche gelangen wir durch den engen Eingang auf den Square. Im Gewühl bei der Barriere bedingt auch meine Körpergrösse, dass ich mich mehr auf die Leute um mich herum als auf das Zeremoniell vorne konzentriere. Anschliessend gibts Pizza am Houhai. Ich komme eigentlich ganz gut mit dem dreimal täglich China-Food hier aus ... Trotzdem wars schön, wieder mal einen Salatteller vor sich zu haben.

Am Mi, 1. Oktober werd ich morgens vom Cousin der Cousine in der Schweiz abgeholt & wir beschauen gemeinsam den 圆明园 Yuanmingyuan, den alten Sommerpalast. Der ist voller chinesischer Nationalfeiertagstouristen, die ihr bestes chinesisches Touristenbetragen zur Schau geben: Ein echter Mann schauts nicht an, der klettert drauf fürs Foto ;)
Zum z'Mittag gibts Hot Pot, wozu unsere fondue chinoise kein Vergleich ist (im Positiven). Danach aber holt mich meine Erkältung ganz ein und ich verschlafe mit Fieber den restlichen Besuch bei der Familie, die im Far West am 5. Autobahnring der Stadt lebt.
Am nächsten Morgen fahren sie mich für einen Arztbesuch gar zum Chaoyang Hospital. Trotz dem Native Speaker als Führer fahren wir das Gebäude einige Male rauf und runter, bis wir in der richtigen Abteilung beim richtigen Untersuchungszimmer ankommen. Mit dem Rezept und einer Menge anderer Zettel fahren wir runter ins U1 zum bezahlen, dann wieder rauf ins 1, um die bittere TCM (Traditional Chinese Medicine) abzuholen, und dann endlich raus aus dem Gebäude und ab ins Bett.

Übers Wochenende trinke ich viel Tee und schaue mir die 上个星期买的 neuen DVDs an: Die zwei chinesischen Filme sind ohne Übersetzung, aber "wenigstens" mit 中文 Untertiteln; der amerikanische Film 300 remains silent.
Am Sa, 4. treff ich durch Vermittlung vom Pfarrer der deutschen Gemeinde eine weitere Schweizerin. Sie arbeitet im deutschen Kindergarten & wohnt bei einem Basler, gleich bei der 世贸天界 mit dem Riesen-Bildschirm obendrüber, unweit von mir. Wir spazieren zum Ritan-Park und zurück und auf dem Heimweg chinesele ich euphorisch mit ein paar alten Fraueli auf ihrem Spaziergang um den Block.

Di, 7.: Früchtespiesse mit Karamell ...

Mi, 8.: Ich bestehe den ersten Lektionstest mit Bravour und darf erst noch meinen Aufsatz über mein erfundenes Apfel-Land 苹国 vorlesen. Den sonnigen Nachmittag nutze ich, um endlich die Ausstellung Our Future von C's NZZ-Artikel zu besuchen. Das 798 Galerienviertel freut sich über meinen Besuch und wird sich noch über viele weitere freuen.
Abends nimmt mich "meine" compatriote mit ans Riesen Fest der Deutschen Einheit. In der Deutschen Botschaft gibts "stilistisch" schon mehr zu sehen als in der Schweizerischen, und die (eingeflogenen?) Dresdner Würste und der Apfelstrudel sind fein. Es ist immer komisch, in einem fremden Land so viel Muttersprache & Verwandtes zu hören. Hängengeblieben: Das blaue fassadenbedeckende Kunstwerk am Hauptgebäude (ein T-Shirt?); die deutschen Kellner (eingeflogen?); die chinesische Jazz-Sängerin (schön!); die Chinesin im Dirndl. Zum Abschied kriegen wir auch eine grosse Schachtel mit kleinen Pins drin, von jedem Bundesland eins. (Praktisch, jetzt muss ich mir nicht eine Karte kaufen, um endlich die innenpolitische Einteilung Deutschlands auswendig zu lernen!)

Do, 9.: Jakob hat in Kanada mit einem Chinesen Bekanntschaft gemacht, der auf seinem Gebiet forscht; Im Grand Pacific Building über die Strasse kann ich die Schokolade abholen, die er ihm für mich mitgegeben hat. So klein ist die Welt.
Schokolade ist auch Vermittlungsgegenstand zwischen mir und meiner Tadjikischen Zimmernachbarin, dort wo die Sprachbarriere Russisch und Englisch trennt. An unserem ersten gemeinsamen Abend schon schenkte sie mir eine Toblerone ...
Aus einem Abendspaziergang die Xidawanglu hinauf nach Norden wird eine Nachtwanderung bis hinauf zur Solana-Mall jenseits des Westgates des Chaoyang-Parks (und zurück). Zum Vergleich: In Basel hätte ich die Stadt vom Bruderholz bis zum Eglisee-Schwimmbad durchquert, hier bin ich in anderthalb Stunden nur ein Stück "die Strasse rauf", und habe die Laufrichtung auf der ganzen Strecke gerade einmal geändert ...

Fr, 10.: Fischkopf mit Expats und einem Basler, nur 15 min zu Fuss von der Uni. Auf dem Hinweg liegt eine Toilettenschüssel auf der Strasse. Eine Mona Lisa hängt etwas weiter vorn in einer Einfahrt. Der Fotoapparat ruht ruhig & sicher zu Hause. Nach dem Essen und einer kurzen Sanlitun-Tour begebe ich mich zurück zu ihm und meiner kleinen Tadjikin. Er hat sie gut gehütet und heisst mich leer lächelnd willkommen.
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