2/17/2009

Hangzhou (29. Januar bis 2. Februar)

Von Yantai musste ich schon nach drei Tagen wieder los, mit der letzten Couchette, die von der kommenden Woche noch gefunden ward. Die Familie verabschiedete mich so herzig, dass ich mir ganz schlecht vorkam, weil ich mich drei Tage lang nur hatte verwoehnen lassen. Bei jedem Nachpruefen, ob ich auch wirklich genug zu essen dabei hatte, packten sie mir noch mehr ein, bis ich wirklich keinen Platz mehr fuer mehr Aepfel, Wuerste (die in ihrem duennen Plastiksack meinen ganzen Rucksack dauerhaft parfuemierten), Mianbao (Brot) und Fertignudeln uebrig hatte. Die 28 Stunden-Fahrt nach Hangzhou (suedl. von Shanghai) war der laengste Streckenabschnitt.

Ich hatte vier Tage vorher die letzte Couchette, ganz oben im hintersten Abteil des letzten Zugwagens gebucht und beging die Reise frohen Mutes. Schlimmer als neben der Latrine auf dem Koffer zu sitzen (wie ich die halbe Strecke nach Yantai verbracht hatte) konnte keine Zugfahrt in China mehr werden. Die Couchettenfahrt erwies sich aber dank eines trinkenden Philologen, der mir erst redender und anschliessend schnarchenderweise die Ruhe stahl, als kaum angenehmer als wenn ich sitzenderweise gereist waere. Vor dem Zugfenster beobachtete ich den langsamen Wechsel Landschaft; die roten Neujahrslampions und Tuerrahmenverziehrungen stachen aus dem vorherrschenden Graubraun der Haeuser und Felder heraus, und in der Nacht sah ich gelegentlich noch Feuerwerke in der Ferne. Am naechsten Morgen waren wir in Shanghai, und es regnete. Alles war immer noch flach, aber immerhin ein bisschen gruener als im kahlen Norden.

Im letzten "Doerfchen" vor Hangzhou stieg ich aus, wo Freunde von Jiangs mir vorzeitig ein Billet fuer Guangzhou gekauft hatten. Sie zeigten mir Haining, ein verschlafenes Nest von etwa 600'000 Einwohnern, und fuehrten mich zum Ufer des Qiantang Fluss, wo eine Wassermauer den Fluss heraufdonnerte, ein Phaenomen das nur etwa zweimal im Monat, zu Voll- und Neumond so deutlich sichtbar vorkommt. Mao Zedong selber soll ebenfalls einst dortgestanden und dazu etwas Grandioses geaeussert haben. Wir passierten auch charming Yanguan (eine enspanntere Miniversion Suzhous) und warfen einen Blick in das groesste Lederoutlet der Welt - eine riesen Shoppingmall voller Lederartikel aller Art, frisch von der Fabrik. Ein Magnet fuer Russen und Chinesen gleichsam (obwohl letztere oft aus buddhistischen Gruenden nicht kaufen, zumindest laut meinem Fuehrer Zhang).

Am Abend kam ich todmuede (der Zustand soll sich noch lange halten) in Hangzhou an und fand in Kristina von couchsurfing.com eine vortreffliche Gastgeberin. Die naechsten Tage schliefen wir morgens lang aus und trafen uns abends wieder zum Kochen, langen Diskussionen ueber Gott, Buddhismus und Tibet, das sie auf eigene Faust schon mehrmals bereist hat, und zum "Rome" schauen. (Zudem machte sie mich mit dem lonely planet-Backstein ueber China bekannt. =) In Suedchina sind die Winter paradoxerweise haerter als im Norden, weil die Haeuser nicht mit Heizungen ausgestattet sind. In Kristinas Wohnung war es eisig, ich musste mehr anziehen als in Yantai oder Beijing, und die Kleider, die ich dort wusch, trockneten teilweise erst in Hong Kong ganz fertig.

Hangzhou hat eine der beruehmtesten Sceneries Chinas: ein Sprichwort sagt “上有天堂 - 下有苏杭”, das heisst "Im Himmel ist das Paradies - auf Erden sind Suzhou und Hangzhou". Die Huegel im Suedwesten der Stadt sind bebaut mit Pagoden und Tempeln aus den verschiedensten Epochen und von den verschiedensten Herrschern und Kaisern, und am prachtvollen West Lake mit den herzigen Inselchen baute sich mancher Beamter, Fuerst und Dichter ein Anwesen, einen Pavillon oder ein Dammweglein am See entlang (oder gleich ueber den See) zum Promenieren. Nicht umsonst heisst der chinesische Begriff fuer eine harmonische Landschaft “有山, 有水”, "mit Bergen und Wasser". Die Stadt ist zu jeder Jahreszeit gepackt mit Touristen aus ganz China, auch im Winter, weil das fuer viele Chinesen dank Fruehlingsfest die optimalste (einzige) Reisezeit darstellt. Der Westsee ist gespickt mit Booten, die Ufer dicht bevoelkert und bis tief in die Huegel schwaermen die schwatzenden Reisegruppen, um einen Blick auf die Longjing-Teefelder zu werfen. Hangzhou ist auch beruemt fuer Seide, und die Schoenheit der Frauen soll landesweit bekannt sein.

Nach drei Tagen zog ich von Kristina los, die Wuerste und den Rest des sauren Changyu-Wein aus Yantai zuruecklassend. Im Zug tauschte ich als erstes mein Sitz-Billet in eine Couchette um. Diesmal waren keine harten Betten in 6er Abteilen, nur weiche in 4er zum doppelten Preis uebrig. So goennte ich mir eine fast bequeme Fahrt nach Guangzhou, wo ich gleich den naechsten Zug nach Shenzhen nahm. Zufaellig rief die Kanada-Basis an, so konnten sie ueber Google Earth gemeinsam mit mir ueber die Grenze nach Hong Kong.