11/25/2008

Ein Fährtchen nach Jinan

Vor einem halben Monat hab ich zum ersten Mal die traute Beijinger Umgebung verlassen und bin für ein Wochenende in die kleine Provinzstadt Jinan (Shandong Provinz, 6 Mio Einwohner) gereist. Vom eindrücklichen Beijing Nanzhan fuhr ich drei Stunden im Schnellzug südwärts und kämpfte mich mit chinesischer Hilfe durch eine Geschichte im "故事报", den ich am Bahnhof gekauft hatte. Um 18:00, kam ich zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt des Tages in einer wenig beleuchteten Stadt an, fand nach 30 Minuten auch endlich ein Taxi, dessen Fahrer mich im langsamen Verkehr ein fröhliches Stündlein in Putonghua unterhielt, viel reiner und leichter als das rrr-verformte, teils kaum verständliche Beijinghua der Hauptstadt ...
Über Couchsurfing hatte ich einen Schlafplatz im Dormitory der Shandong University gefunden. Gastgeber + Freundin führten mich auf den Qianfoshan mit seinen skurrilen Buddha-Statuen aus der Tang-Dynastie und dann auf einen kleinen Kulturmarkt mit der ironischen Erklärung, soeben die Hälfte von Jinan's Sights gesehen zu haben. Jinan ist vor allem bekannt für seine schönen Quellen ("City of Springs") und Parks, wonach uns die Laune an diesem dunklen Tag aber nicht wirklich stand, und wofür es, wie ich dann am Sonntag sah, auch nicht gerade die Jahreszeit ist. Sonntag traf ich eine chinesische Freundin, mit der ich seit Yantai Kontakt habe, und die jetzt in Jinan Deutsch studiert. Wir verbrachten nur ein paar Stunden zusammen, da sie am Morgen Unterricht und am Abend Party Meeting hatte...
Das Wetter hatte aufgeklart, und ich hatte erst für Montag einen Zug nach Beijing zurück gefunden, so kaufte ich spontan und wieder um die vollste Zeit (was will man machen?) noch ein Ticket für den Putongche (der Zweitklass/Bummel-Zug) nach Tai'an am Fusse des Taibergs. Ich hatte Glück und kriegte noch einen Stehplatz. Obwohl der Zug zum Brechen voll war, wurde das Snack-Wägeli mit ach und krach durchgeschoben. In Tai'an liess ich mich überreden, ein paar Stunden im Hotel zu bleiben. Auch um Zimmerpreise muss man verhandeln.
Taishan ist einer von den fünf heiligen Bergen des Taoismus, zu dem seit 3000 Jahren gepilgert wird. Dazu ist er berühmt für seine Sonnenaufgänge. Um 12 Uhr nachts begann ich den Aufstieg zeitgleich mit zwei Studenten, die ich am Fuss des Bergs antraf. Zusammen froren wir uns durch knapp vier Stunden Treppensteigen und insgesamt zwei Stunden Pause, bis dass endlich der Morgen graute und uns auch ohne Sonnenaufgang einen stimmungsvollen Tagesbeginn bescherte. Die Sonne kam dann um 8 Uhr doch noch hervor, und ich rannte beflügelt den Berg hinab und auf den 10 Uhr Zug.
Der war nicht so übervoll wie am Tag vorher. Als ich Platz nahm, sass mir gegenüber der schönste Chinese, der je gesehen ward. Erfahrungsgemäss sind solche Exemplare so selten, dass mir gleich alle Geistesgegenwart für eine passende Reaktion schwand. In unserem bisschen Smalltalk brachte ich in Erfahrung, dass er Sportstudent war. Das kann man lustigerweise neben ihrer Seltenheit als das zweite Hauptcharakteristikum von ausländische Frauen anziehenden Chinesen bezeichnen. In Jinans Bahnhof schwand er mir aus den Augen. Gebrochenen Herzens kehrte ich zurück nach Hause.
*